Judentum in Darmstadt

Vom Mittelalter ins 20. Jahrhundert

Die ersten Aufzeichnungen über Juden in Darmstadt stammen aus dem Jahr 1529. Ab 1536 sind Juden ebenfalls in Arheilgen, ab 1571 in Eberstadt und ab 1574 in Bessungen nachgewiesen ansässig.
Ab 1539 unterstanden alle Juden der Judenordnung von Landgraf Philipp. Diese Ordnung wurde im Jahr 1585 durch eine neue Ordnung von Landgraf Georg I. abgelöst.
Weitere Juden zogen bis zum Dreißigjährigen Krieg nach Darmstadt. Die Nähe zu Frankfurt spielte hierbei eine wichtige Rolle. Im Jahr 1623 wurden in Darmstadt 50 jüdische Bürger gezählt.
1707 bestand die Jüdische Gemeinde Darmstadts aus mittlerweile zwölf Familien. Zudem lebten in Arheilgen drei und in Eberstadt vier jüdische Familien.
Ein positives Signal der Emanzipation folgte mit der Aufhebung des Leibzolls im Jahr 1805.
Neun Jahre später wurden vermögende jüdische Bürger nach und nach in die Bürgerschaft aufgenommen.
Die Verfassungen von 1820 und 1824 bewirkten Verbesserungen für die Juden, da die schlechtere Behandlung der Juden abgemildert wurde. Mit der Revolution im Jahr 1848 kam die rechtliche Gleichstellung, wodurch Juden der christlichen Bevölkerung gleichgestellt wurden.
Rückschläge kamen mit der Repression. Die endgültige Emanzipation wurde mit dem Eintritt des Großherzogentums Hessen in den Norddeutschen Bund und der dort beschlossenen Festlegung der rechtlichen Gleichstellung der Juden (1869 – 1871) vom Deutschen Reich erreicht. Die schrittweise rechtliche Gleichstellung mit der christlichen Bevölkerung stieß in mehreren Teilen der Einwohnerschaft Darmstadts allerdings auch zunehmend auf Widerstand während vor allem ab 1873 judenfeindliche Stimmungen wuchsen.
Dennoch nahm infolge der rechtlichen Gleichstellung die jüdische Bevölkerung sehr schnell zu. Und während zu Beginn des 19. Jahrhunderts gut 400 Juden in Darmstadt lebten, waren es gut 100 Jahre später (1910) schon 2.000 Juden. Und auch der soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Aufstieg innerhalb des Darmstädter Bürgertums vollzog sich in großen Schritten.
Innerhalb der jüdischen Gemeinschaft entstanden mit der Zeit und noch befördert durch den Zuzug aus dem Umland religiöse Spannungen in der eher städtisch-bürgerlich geprägten Gemeinde. Hauptgrund waren zunehmende Reformen, die im deutlichen Widerspruch zu der bisherigen orthodoxen Lebensweise standen. 1861 spaltete sich deshalb eine orthodoxe Gruppe unter dem Namen „Religionsgesellschaft“ ab und bezog in der Kleinen Ochsengasse einen eigenen G´´ttesdienstraum. Im Jahr 1872 wurde dieser durch eine eigene Synagoge ersetzt, die im Jahr 1905 wiederum durch eine neue große Synagoge in der Bleichstraße ersetzt wurde. Die „alte Gemeinde“ war währenddessen zu eine liberalen „Religionsgemeinde“ geworden und baute in den Jahren 1875/1876 ihre eigene prächtige Synagoge in der Friedrichstraße.

Das frühe 20. Jahrhundert und die Nazizeit

Die Darmstädter Juden wurden trotz aller Widerstände zu einem prägenden Teil der Darmstädter Stadtgesellschaft und bereicherten die Stadt etwa in kultureller, architektonischer und politischer Hinsicht. Zu Beginn des 1. Weltkrieges zog es viele Darmstädter Juden voller Patriotismus für ihr Vaterland an die Front. Gleichwohl entwickelte sich in der Weimarer Republik ein militanter Antisemitismus deutschvölkischer Gruppen. Die einzige Rettung gegen den starken Antisemitismus und die Verfolgung durch Nationalsozialisten war die Auswanderung. Direkt nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 verließen mehr als ein Drittel der Darmstädter Juden (ca. 550) ihre Heimatstadt. In der Pogromnacht vom 09. November 1938 wurden auf Betreiben der SA die beiden Darmstädter Synagogen und die Synagoge in Eberstadt zerstört. Straßen, die nach Juden benannt waren, wurden umbenannt. Ab März 1942 wurden ca. 600 Darmstädter Juden durch Deportationen in den Tod geschickt. Die Nationalsozialisten machten dem jüdischen Leben durch die Zerstörung der Synagogen, der Deportation der Darmstädter Juden und der Auslöschung der Gemeinden ein Ende.

Von 1945 bis 1989

Nach Ende des 2. Weltkriegs gründeten einige wenige Überlebende und zurückgekehrte (Alexander Haas und Max Zwirn) im Jahr 1946 die Jüdische Gemeinde wieder. Vor allem den gut 200 jüdischen DPs (sog. Displaced Persons, Überlebende der Konzentrationslager, Vertriebene oder Flüchtlinge aus dem Osten) sollte die Gemeinde eine vorübergehende Heimat bieten.  
Die erste Geschäftsstellte befand sich In der Wilhelm-Leuschner-Straße 5. Ab 1949 fand die Gemeinde in der der Osannstraße 11 ein neues, provisorisches Zuhause, dass letztlich beinahe 40 Jahre halten sollte. Nachdem die Mehrheit der Juden Darmstadt zwischen 1946 und 1948 Richtung Israel und Amerika verlassen hatte, zählte die Jüdische Gemeinde fortan bis Ende der achtziger Jahre zwischen 80 und 120 Personen, die in Darmstadt und dem Umkreis (vorderer Odenwald, Bergstraße, Landkreis Darmstadt-Dieburg) beheimatet waren.
Nachdem Max Wolf und die Herren Hornung den Vorsitz der Gemeinde innehatten, übernahm 1954 Josef Fränkel, welcher der Gemeinde bis zu seinem Tod im Jahr 1994 vorstand. Auf Initiative des SPD-Stadtverordneten und Journalisten Rüdiger Breuer und dem damaligen Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde, Moritz Neumann, wurde der Neubau der Darmstädter Synagoge ins Rollen gebracht. Im Jahr 1984 stimmt die Stadtverordnetenversammlung dem Dringlichkeitsantrag der SPD zur „Errichtung eines Synagogengebäudes“ zu, das am 9. November 1988, dem fünfzigsten Jahrestag der Pogromnacht, übergeben und eingeweiht werden soll. Am 21. April 1987 war Baubeginn für die neue Synagoge in der Wilhelm-Glässing-Straße.
Diese wurde von dem Frankfurter Architekten Alfred Jacoby entworfen und bot 176 Sitzplätze bei einem Finanzvolumen von ca. 10.000.000,- DM.
Die zwölft Buntglasfenster und die Türen des Thoraschranks stammen aus dem Atelier des englischen Künstlers Brian Clarke. Sie wurden durch Spenden der Darmstädter Bürgerschaft finanziert.
In nur 19 Monaten wurde die neue Synagoge komplett fertiggestellt.
Am 9. November 1988, also 50 Jahre nach der Zerstörung der drei Darmstädter Synagogen, wird die neue Synagoge Darmstadts festlich eingeweiht.

Von 1989 bis heute

Ende der achtziger Jahre brach die UDSSR zusammen und der Zuzug von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion lies die Jüdische Gemeinde Darmstadt kräftig wachsen.
Zählte die Gemeinde 1989 rund 120 Mitglieder, waren es gut 20 Jahre später beinahe 750.
In der Phase der außergewöhnlichen Herausforderungen, die mit dem Neubau der Synagoge und der Zuwanderung der Juden aus der ehemaligen Sowjetunion begann, regelte Moritz Neumann zunächst noch als ehrenamtlicher Geschäftsführer (seit 1980) und ab 1994 dann als Vorsitzender die Geschicke der Gemeinde.
In dieser Phase entwickelte sich trotz zahlreicher gesellschaftlicher, politischer, finanzieller und innerjüdischer Herausforderungen ein buntes und vielfältiges Gemeindeleben mit regelmäßigen G“ttesdiensten und vielen religiösen, gesellschaftlichen und kulturellen Angeboten.  
Nach dem Tod von Moritz Neumann im Juni 2016, wurde sein Sohn Daniel Neumann, der bereits seit 2008 die ehrenamtliche Geschäftsführung der Jüdischen Gemeinde Darmstadt übernommen hatte, im Jahr 2017 zum neuen Vorsitzenden gewählt.
Dieser rief 2018 das Jüdische Lehrhaus und die Jüdischen Kulturwochen ins Leben, die in Zusammenarbeit mit der Stadt Darmstadt zu einem Symbol der Verständigung und einer wiederkehrenden Bereicherung der Darmstädter Stadtkultur werden sollen.
Heute zählt die Jüdische Gemeinde Darmstadt 620 Mitglieder.

Heute ist der

12. Kislev 5785 - 13. Dezember 2024