"Das Gegenteil von gut. Antisemitismus in der politischen Linken" - Vortrag von Tom David Uhlig
Antisemitismus in der politischen Linken wird von vielen noch für einen Widerspruch in sich gehalten: Wie können Bewegungen, die für soziale Gerechtigkeit einstehen, gegenüber dem Ressentiment gegen Jüdinnen und Juden blind sein und dieses sogar reproduzieren? Zudem ist es in weiten Teilen linke Theorie und Praxis gewesen, die Antisemitismus als gesellschaftliches Phänomen überhaupt erst versteh- und damit kritisierbar gemacht hat. Der Selbstanspruch linker Bewegungen, universalistische Prinzipien wie die Menschenrechte vertreten zu wollen, tendiert dazu, die hier zumeist chiffrierten Ausdrucksformen des Antisemitismus zu überdecken: Man glaubt dann eventuell, per Definition kein Antisemit sein zu können. Sich selbst linkspolitisch zu verorten ist allerdings kein Ticket, das einmal gezogen einen davor bewahrt, menschenverachtende Ideologien zu verinnerlichen. Um dem eigenen Anspruch tatsächlich gerecht zu werden, bedarf es einer kontinuierlichen Selbstbefragung und der Sicherheit, eigene Politiken und Haltungen auch immer wieder irritieren zu lassen. Im Vortrag soll mit aktuellen Beispielen unterlegt eine solche Irritation von drei maßgeblichen linken Aktionsfeldern gegeben werden, in denen sich Antisemitismus immer wieder Bahn bricht: Der personalisierenden Kapitalismuskritik, dem Antiimperialismus und der instrumentellen Erinnerungspolitik.
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Tom David Uhlig ist koordiniert für die Bildungsstätte Anne Frank das Kompetenznetzwerk gegen Antisemitismus und ist Mitherausgeber der Zeitschrift für psychoanalytische Sozialpsychologie „Freie Assoziation“ sowie der „Psychologie und Gesellschaftskritik“. Gemeinsam mit Eva Berendsen und Katha Rhein veröffentlichte er 2019 „Extrem Unbrauchbar. Über Gleichsetzungen von links und rechts“ (Verbrecher Verlag).