Krone der Schöpfung: Daniel Neumann über die fünf Bücher Mose und warum sie nicht frauenfeindlich sind
Schließlich heißt es dort, dass der Mann von G’tt zuerst, also noch vor der Frau, geschaffen und die Frau dann aus der Rippe des Mannes gebildet wurde.
Wenn man oder frau allerdings bereit wäre, einen Blick hinter das Dickicht aus Vorurteilen, Klischees und Voreingenommenheit zu werfen, dürfte sich das eine oder andere Aha-Erlebnis einstellen.
Ebenbild Fangen wir also an. Und zwar ganz am Anfang. Just nachdem die Erde, die Pflanzen und die Tiere entstanden sind. Schon dort, also ganz zu Beginn der Tora, wittern viele Kritiker die erste Ungleichbehandlung von Mann und Frau. Im 1. Buch Mose (1,26) heißt es nämlich, dass G’tt einen Adam in seinem Ebenbild schaffen wolle.
Einen Adam also. Einen Mann! Aber Adam ist nicht nur ein Name, sondern leitet sich ab von dem hebräischen Wort »Adama«, was Erde bedeutet. Hier wird also ein Erdling geschaffen, ein Mensch. Ganz unabhängig von seinem Geschlecht. Mehr noch: Denn gleich im nächsten Halbsatz heißt es, dass G’tt den Menschen männlich und weiblich schuf.
Der Midrasch erzählt, dass der erste Mensch als Hermaphrodit geschaffen wurde, als androgynes Wesen mit zwei Geschlechtern, dass er also Mann und Frau in einer einzigen Person vereinte (Genesis Rabba 8,1).
Und Rabbiner Samson Raphael Hirsch erklärt, dass zwar auch Tiere männlich und weiblich geschaffen wurden, dass dies allerdings nur im Fall des Menschen einer gesonderten Erwähnung bedurfte, um zu betonen, dass beide Geschlechter in G’ttes Ebenbild geschaffen worden sind. Und dadurch sind beide mit einer unveräußerlichen Würde ausgestattet!
Das allerdings reicht den Kritikern nicht, denn schließlich heißt es doch später im Text, dass G’tt die erste Frau aus der Rippe des Mannes schuf (1. Buch Mose 2,21). Heißt das denn nicht, dass die Frau aus einem unbedeutenden Teil Adams gebildet wurde? Dass sie also nur ein unbedeutendes Anhängsel des Mannes ist? Nein, nicht im Geringsten!
Seite Im hebräischen Original bedeutet der Begriff »Zela«, der so gerne mit »Rippe« übersetzt wird, auch Seite. Das bedeutet, dass die Frau aus einer Seite des Mannes geschaffen wurde. Dass sie also ein gleichbedeutender Teil des ersten Menschen war.
Nun könnte man einwenden, dass trotzdem eine Benachteiligung der Frau vorliege, denn der Mann sei ja zumindest in dieser Passage als Erster erschaffen worden. Weshalb das allerdings eine Schlechterstellung der Frau bedeuten sollte, verstehe ich beim besten Willen nicht.
Denn die Schöpfungsgeschichte ist eine Entwicklungsgeschichte. Von lebloser Materie zu lebendigen Wesen. Und von einfachen zu hochkomplexen Organismen. Die Schöpfung schreitet stetig voran, beinhaltet eine ständige Weiterentwicklung. Und wer steht an der Spitze? Die Frau!
Witz Sie ist das letzte Wesen, das geschaffen wurde. Nach den Tieren und nach dem Mann. Das heißt, dass sie die Krone der Schöpfung ist, nicht der Mann. Deshalb heißt es in einem Witz, dass G’tt, nachdem er den Mann geschaffen hatte, zu seinen Engeln sagte: »Das kann ich besser!« Und er schuf die Frau ...
Wie dem auch sei. Der Bibelwissenschaftler Nahum Sarna erklärt in seinem Torakommentar, dass die Schöpfungsgeschichte Evas in der Tora einzigartig sei. Im gesamten früheren Nahen Osten könne man nirgendwo sonst überhaupt von der Schöpfung der Frau lesen.
Daneben weist er darauf hin, dass die Erschaffung des Mannes in nur einem Vers beschrieben wird, während die Schöpfung der Frau ganze sechs Verse in Anspruch nimmt. Was bedeutet, dass G’tt der Erschaffung der Frau mehr Zeit, mehr Sorgfalt und mehr Mühe gewidmet habe.
In die gleiche Kerbe schlägt die folgende Auslegung. Während der Schöpfung des Menschen spricht G’tt: Lasst uns einen Menschen machen in unserem Angesicht und unserer Ähnlichkeit. Eine andere Auslegung meint, dass G’tt die Engel anspreche, um sie an solch einer wichtigen Entscheidung wie der Schöpfung des Menschen ebenfalls teilhaben zu lassen.
Tiere Die plausibelste Auslegung hingegen stammt von Nachmanides. Dieser glaubt, dass G’tt die Tiere meinte. Diese waren schließlich die einzigen Lebewesen, die damals ansprechbar waren. Das heißt, dass G’tt die Tiere einlud, um gemeinsam einen Menschen zu schaffen. Und so seltsam dies im ersten Moment klingt, so einleuchtend erscheint es bei näherem Hinsehen.
Denn tatsächlich ist der Mensch nicht nur im Bilde G’ttes geschaffen worden, sondern ebenso sehr im Bilde des Tieres. Wir vereinen beide in uns, das Tier und G’tt, den Körper des Tieres und die Seele, die vom Ewigen stammt. Die Triebe nach Nahrung, Sex und Schlaf ebenso wie die spirituellen und heiligen Elemente.
Wer aber stammt denn nun direkt vom Tier ab? Natürlich der Mann! Und die Frau wiederum vom Mann. Sie ist also in gewissem Sinne fortgeschrittener, kultivierter, weniger animalisch. Und als Vater von zwei Söhnen und zwei Töchtern kann ich das aus eigener familienempirischer Forschung auch voll und ganz bestätigen.
Himmelspforte Zum Schluss noch ein Witz: Ein Heer von Männern steht vor den Himmelspforten und wartet auf Einlass. G’tt sagt zu den Wartenden: Ich habe euch gesagt, dass ihr über die Frau herrschen sollt. Nun möchte Ich wissen, wer Meiner Aufforderung nachgekommen ist. Alle, die Meinem Wunsch gefolgt sind und echte Männer waren, stellen sich vor das rechte Tor. Und die, deren Frauen das Sagen hatten, stellen sich vor das linke Tor. Nach wenigen Momenten stehen bis auf einen Einzigen alle anderen vor dem linken Tor.
G’tt lässt seinen Blick deprimiert über die elend und beschämt dreinblickenden Männer schweifen und sagt dann zu dem einzigen Mann vor dem rechten Tor: Du rettest die Ehre deiner ganzen Spezies! Sag Mir, warum hast du dich vor dieses Tor gestellt? Woraufhin der Mann mit den Schultern zuckt und antwortet: »Meine Frau hat gesagt, ich soll mich hier hinstellen.«
Wenn also überhaupt irgendwer das Recht hat, sich zu beschweren, weil er zumindest in der Schöpfungsgeschichte ziemlich schlecht wegkommt, dann ist es der Mann und nicht die Frau.
Und wenn man nun berücksichtigt, dass wir es hier mit den Grundideen unserer Entstehungsgeschichte, unseres Daseins und unserer Menschlichkeit als solcher zu tun haben; und wenn man bedenkt, dass hier fundamentale Konzepte eingearbeitet sind, dann kann man eines sicher nicht tun: nämlich eine Ungleichbehandlung oder Schlechterstellung der Frau annehmen. Ganz im Gegenteil!
Der Autor ist Direktor des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden in Hessen.