Erinnern an das Verbrechen: vor 75 Jahren deportierten die Nazis die Darmstädter Sinti und Roma
Dazu eingeladen hatte der hessische Landesverband Deutscher Sinti und Roma, die Stadt Darmstadt, die Jüdische Gemeinde Darmstadt, die Initiative Denkzeichen Güterbahnhof und die Bündnisse gegen Rechts in Südhessen.
Weit mehr als 60 Besucher, darunter viele Angehörige deportierter Sinti, füllten die kleine Galerie Kurzweil unweit des Denkzeichens am Güterbahnhof, in die die Veranstalter wegen drohenden Regens ausgewichen waren.
Nur wenige Schritte entfernt befindet sich der Glaskubus mit Namen von Deportierten, die von hier aus in insgesamt drei Güterzügen in Vernichtungslager der Nazis gebracht worden waren. Am 15. März 1943 rollte einer der Züge in Richtung Auschwitz. 69 Sinti – Männer, Frauen und Kinder – waren in den Waggons, berichtete Maria Strauß, Mitglied des Landesverbands der deutschen Sinti und Roma. „Mit im Zug waren auch meine Mutter, zwei ihrer Schwestern und zwei Brüder sowie die Eltern der Geschwister.“
Die Familie hatte in Bessungen gewohnt. Die bei der Reichsbahn arbeitende Mutter war auf dem Heimweg verhaftet worden. „Aus dem einzigen Grund, dass wir Sinti als rassisch minderwertig galten“, sagte Maria Strauß voll Bitterkeit. Ihre Mutter überlebte das Lager und konnte, schwer traumatisiert, nach Darmstadt zurückkehren. 1958 verstarb sie an den Spätfolgen ihrer Qualen in Auschwitz.
„Mit unserem Gedenken tun wir heute etwas, was nicht allen Menschen gefällt“, erklärte Oberbürgermeister Jochen Partsch mit Verweis auf AfD-Politiker, die eine 180-Grad-Wende bei der Erinnerungskultur forderten. Die vielen Angehörigen, Kinder und Enkel verschleppter Sinti und Roma bei der Gedenkveranstaltung seien ein Geschenk, „damit wir schmerzliche Realitäten besser einschätzen könnten“, freute sich der OB. Wenn Demagogen der AfD mit ihren brandgefährlichen Tiraden gegen Türken und andere Ausländer vorgaukelten, mit Hass und Dummheit könne man Politik für das Land machen, müsse man mit aller Kraft dagegen angehen, immer alles beim Namen nennen, um der bequemen Ausrede entgegenzuwirken, das habe man nicht gewusst.
Ein blutreines homogenes deutsches Volk nach Vorstellung der AfD habe es nie gegeben – „mit Ausnahme vielleicht von 1933 bis 45“. Migration sei ein konstitutives Merkmal unserer europäischen Kultur“, betonte Partsch. Er war zuvor von Maria Strauß unter anderem dafür gelobt worden, dass Darmstadt bundesweit die erste Stadt war, die Projekte gegen Antiziganismus auf den Weg gebracht hatte.
Gleichwohl entschuldigte Partsch sich für das Verhalten einer städtischen Angestellten, die einer wohnungssuchenden Sinti in der Nachkriegszeit gesagt hatte: „Wir haben ja nicht einmal genug Wohnungen für unsere eigenen Leute“ und damit Sinti erneut ausgegrenzt habe. Er versprach, alles für eine interkulturell geschulte Verwaltung zu tun. „Wir müssen noch stärker um die Köpfe unseres Landes kämpfen und nicht die alleinige Verantwortung dafür auf die Politiker abwälzen, so sein Appell.
Daniel Neumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, bekannte, er habe angesichts des fehlenden großen Aufschreis gegen Brandanschläge und Hetze nicht nur Sorge um Minderheiten, sondern auch um den Zustand der Mehrheit.
Aaron Weiss und Sunny Franz umrahmten mit einfühlsamer Musik die gut einstündige Gedenkveranstaltung.
Den Artikel zur Gedenkveranstaltung finden Sie auf den Seiten von Echo-Online.
(Bildquelle: Echo-Online.de)