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07.12.2025

Der Journalismus, der nur erzählt, was ins Weltbild passt

Darmstadt

© Superbass / CC-BY-SA-4.0
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© Superbass / CC-BY-SA-4.0
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Daniel Neumann über die Auszeichnung von Sophie von der Tann mit dem Friedrichs-Preis die ein tieferliegendes Problem zeigt. Nicht die Korrespondentin allein steht im Fokus, sondern ein öffentlich-rechtlicher Journalismus, der Narrative pflegt und Kritik systematisch abtut.

 
Viel ist in den letzten Monaten geschrieben worden über Sophie von der Tann, dem bekanntesten Gesicht der öffentlich-rechtlichen Israelberichterstattung. Und noch mehr in den letzten Wochen, seit bekannt wurde, dass die ARD-Korrespondentin in Tel Aviv den renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis erhält. Eine Fehlentscheidung zwar, die den Namensgeber wahrscheinlich in seinem Grab rotieren lässt, aber gleichzeitig eine konsequente Entscheidung, wenn man einmal in die Logik des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eintaucht.

Denn Sophie von der Tann ist nicht die Ursache des Problems. Sie ist das Symptom. Sichtbar, gut vermarktbar und bestens geeignet, die tieferliegende Krankheit zu kaschieren. Die eigentliche Krankheit ist dabei ein Journalismus, der längst nicht mehr daran interessiert ist, Fakten zu liefern, sondern Stimmungen, die dem jeweiligen Weltbild entsprechen. Will heißen: es wird nicht berichtet, was ist, sondern was sein soll. Und was nicht passt, wird passend gemacht. Indem man auslässt, frisiert, schief einrahmt, emotionalisiert und entkontextualisiert, bis die Berichterstattung sich in das vorgefertigte Bild einpasst. Journalismus gerinnt so zu Haltung. Eine Haltung, die sich als moralische Pflicht tarnt und doch nur eines tut: Meinung zu formen, statt dem Publikum die Chance zu geben, sich seine eigene Meinung zu erarbeiten.

„Wo die Weltanschauung beginnt, hört das Wissen auf“

Das Muster ist bekannt. Ebenso der Umgang mit Kritik an diesem System. Denn Kritik wird zwar formal bearbeitet, doch das Ergebnis steht oft längst fest. Oder schlimmer noch: Kritik wird gar nicht erst ernst genommen, sondern schlicht abgetan. Might makes right. Wer die Schlagseite benennt, gilt schnell als Hetzer. Oder als Lobbyist. Oder als jemand, der Israel blind verteidigt. Die Folge ist: Die Debatte endet, bevor sie begonnen hat. Und während man sich öffentlich über Hass und Druck beklagt – wobei Hass inakzeptabel ist, während öffentlicher Druck ein legitimes Mittel ist – gräbt man sich im eigenen Silo immer tiefer ein. Man stärkt die Verteidigungslinie des eigenen Selbstbildes und opfert dabei - bewusst oder unbewusst – die Integrität und das Ansehen journalistischer Arbeit.

Und vielleicht liegt genau dort das Dilemma. Denn eigentlich müsste man sich mit der Frage auseinandersetzen, warum bestimmte Narrative, bestimmte Bilder, bestimmte Sichtweisen in den Redaktionen so verlässlich reproduziert werden. Warum die Rollen so klar verteilt sind. Israel als Täter. Palästinenser als Opfer. Die einen können kaum etwas richtig machen. Die anderen kaum etwas falsch. Das geht nicht auf Recherche zurück. Sondern auf Überzeugungen. Auf Emotionen. Und auf Weltbilder. Und diese Weltbilder lassen sich bekanntermaßen nicht so leicht erschüttern. Erst recht nicht durch Kritik von außen. Schon einmal etwas vom confirmation bias gehört? Oder um es mit den Worten des unsterblichen Karl Kraus zu sagen: „Wo die Weltanschauung beginnt, hört das Wissen auf.“

Aufarbeitung würde das Vertrauen stärken

Jedenfalls wäre eine ehrliche Aufarbeitung heilsam. Sie würde das Vertrauen stärken. Sie wäre ein Zeichen von Reife. Aber sie hätte auch Risiken und Nebenwirkungen. Manche Journalisten würden sich vor den Kopf gestoßen fühlen, weil ihr Verständnis von journalistischer Arbeit plötzlich nicht mehr sakrosankt wäre. Sie müssten sich eingestehen, dass sie nicht immer berichten, was ist, sondern was sein soll. Weil sie es so wollen. Weil ihr journalistisches Milieu es so will. Und weil die Konsumenten es so wollen. 

Denn die große Masse goutiert genau die Art von Erzählung, die man vorhersagbar und zuverlässig liefert. Und obwohl Quote im Öffentlich-Rechtlichen zwar offiziell egal ist, weiß jeder, dass sie es natürlich nicht ist. Relevanz speist sich aus Zustimmung. Und Zustimmung erfährt man durch die Inhalte, die das Publikum erwartet. Auch eine Art confirmation bias. Doch das Problem ist himmelschreiend. Jonathan Sacks schrieb dazu: „Wenn wir nur die Geschichte erzählen, die wir hören wollen, werden wir nie die Geschichte hören, die wir kennen müssen.“ Quod erad demonstrandum.

Oft hört man von den Sender- und Redaktionsverantwortlichen, dass man ja wohl etwas richtig machen müsse, da beide Seiten, also die proisraelische und die propalästinensische – oder präziser: die antiisraelische – Berichterstattung kritisieren würden. Aber in Wahrheit taugt dieses Argument nicht als Entlastung. 

Erstens gibt es eine zahlenmäßige Schieflage. Es gibt massenhaft Israelhass und ungleich weniger Sympathie für den Judenstaat. Zweitens zählt antizionistische Propaganda, Emotionalisierung und Meinungsmache seit Jahrzehnten zu den Steckenpferden der Israelhasser. Und drittens liegt manchmal eben eine Seite falsch und die andere richtig. Oder anders: manchmal liegt die Wahrheit nicht in der Mitte. Und manchmal ist die angebliche Neutralität in Wirklichkeit Parteilichkeit. In diesem Fall ist die Kritik einer Seite richtig. Und die der anderen falsch. Wer diesen Einsichten mit billigen Ausreden entgehen will, anstatt selbstkritisch zu reflektieren, der schadet nicht nur sich selbst.  

ÖRR arbeitet Schritt für Schritt an der eigenen Abschaffung

Worum es also geht? Es geht um Ausgewogenheit. Um faire Berichterstattung. Um die richtige Einordnung. Um das Aufspüren der Wahrheit. Wenn all das zur Verhandlungsmasse wird, weil man eine Deckungsfähigkeit mit den eigenen Weltbildern erreichen will oder weil man die eigenen Korrespondenten für mutig, klug und über jeden Zweifel erhaben hält oder weil sich schlicht alle in derselben Blase aufhalten und sich in ihren Ansichten gegenseitig bestätigen, ihnen deshalb also die so dringend benötigte kritische Distanz fehlt, braucht man sich über Vertrauensverluste nicht wundern. Die Folge: man arbeitet Schritt für Schritt an der eigenen Abschaffung.

Zugegeben: Man kann der ARD keinen Vorwurf machen, dass sie Sophie von der Tann schützt. Man kann ihr aber sehr wohl vorwerfen, dass sie damit die Kritik an ihrer Gesamtpraxis delegitimiert. Dass sie sich immunisiert. Dass sie sich einigelt. Und dass sie dabei vergisst, wofür sie eigentlich existiert. Was die zentrale Aufgabe ist. Denn wer jede Debatte abwürgt, wer sich für unfehlbar hält, wer Kritikern aufrichtige Motive abspricht und diese reflexhaft unter Beschuss nimmt, wer sich als Opfer stilisiert, anstatt die handwerklichen und inhaltlichen Schieflagen auszuleuchten, und wer sich in moralischer Selbstgewissheit eingerichtet hat, anstatt sich der unbequemen Prüfung der eigenen Maßstäbe zu stellen, der verwechselt Kritik mit Hetze, Haltung mit Wahrheit und Moral mit Methode. Und dann darf man sich nicht wundern, wenn am Ende niemand mehr einschaltet, zusieht oder hinhört.