Moritz Neumann wird 65 – ein Mann der klaren Worte
Moritz Neumann ist Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen und Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Darmstadt. Dies sind die Ämter, in denen man ihn öffentlich wahrnimmt, und diese Ämter sind die Aufgabe seines Lebens.
Ein Leben als Jude in Deutschland. Ein Leben, das so nicht selbstverständlich war, das man nicht ohne die Geschichte seiner Eltern versteht. Beider Familien sind im Holocaust fast vollständig vernichtet worden, beide Eltern überlebten unter Grauen. Die Mutter in Auschwitz und auf dem Todesmarsch nach Ravensbrück, wo sie von der Roten Armee befreit wurde. Der Vater erst im Spanischen Bürgerkrieg, dann in der französischen Fremdenlegion, wo er mit anderen dorthin geflohenen Juden in Pétains Straflager geriet und von de Gaulles Exilarmee befreit wurde, der er sich anschloss.
Beide Eltern verschlug es nach dem Krieg, keineswegs in der Gewissheit, im Land der Täter zu bleiben, nach Fulda, wo sie sich kennenlernten, wo der Sohn Moritz aufwuchs.
Der wurde Journalist. Er schrieb für die Fuldaer Volkszeitung, die Offenbach-Post, die Frankfurter Rundschau, die Jüdische Allgemeine und das Darmstädter Echo, moderierte auch Fernsehsendungen. Schließlich aber, obwohl in diesem Beruf erfolgreich und angesehen, folgte er in den achtziger Jahren dem Ruf seines Mentors Max Willner und übernahm die Geschäftsführung des Jüdischen Landesverbands, nach Willners Tod auch den Vorsitz. Dem Leben der Juden in Deutschland freien Raum und Anerkennung zu schaffen, dem lauernden Rassismus die Stirn zu bieten, ist sein Lebensberuf.
Diplomatische Floskeln beherrscht er nicht
Er füllt ihn aus mit der Macht seines Wortes, mit seinem fesselnden Schreibtalent und mit seiner Gabe, als Redner ein Auditorium zu packen. Die diplomatische Floskel beherrscht er nicht. Die von der politischen Korrektheit bis zur Unverständlichkeit verbogene Sprache verabscheut er. Was er sagt, ist klar, direkt, für den Getroffenen mitunter auch schmerzend.
Getroffen fühlte sich seinerzeit der CDU-Kreisvorsitzende, als Neumann in einer Rede in der Neuen Synagoge die Generäle des Aufstands vom 20. Juli 1944, die zuvor Hitlers verbrecherischen Angriffskrieg fünf Jahre lang geführt hatten, eine angesichts der unabwendbaren Niederlage „Rette-sich-wer-kann-Bewegung“ nannte und die deutsche Nachkriegsjustiz auf dem rechten Auge blind schalt. Worauf der CDU-Mann eine Anfrage an den Magistrat richtete – mit dem Ziel, dem jüdischen Gemeindevorsitzenden öffentlich das Wort zu verbieten.
Neumanns Erwiderung auf die CDU-Attacke war eine rednerische Sternstunde des Darmstädter Stadtparlaments. Dort sprach er als ehrenamtlicher Stadtrat der SPD. Der damalige Oberbürgermeister Peter Benz hatte ihn in seine Magistratsmannschaft geworben, als „moralisches Gewissen“, wie er ihn vorstellte. Mit demselben ging er auch, wenn es sein musste, schonungslos seinen Parteifreunden auf die Nerven.
In der Jüdischen Gemeinde hingegen ist er zur Vaterfigur geworden. Die Gemeinschaft hat sich in seiner Amtszeit auf achthundert Mitglieder vervierfacht, vor allem durch den Zuzug russischer Juden, für deren Zurechtfinden in der neuen Kultur er eine unentbehrliche Hilfe ist. Zurechtfinden müssen sie sich nicht nur im deutschen Alltag. Auch jüdisches Leben ist ihnen aus Russland kaum vertraut. Diese Erfahrung bestärkt Neumann darin, jüdische Traditionen in der Gemeinde zu pflegen. Zu viel wurde seinem Volk geraubt, als dass es auch noch seine Wurzeln preisgeben sollte.
Was diese Traditionen auch für das Leben heute ausmacht, darüber hat Moritz Neumann seine Rundfunkbeiträge zu einem sehr lesenswerten Buch zusammengefasst. „Shabbat Shalom“ ist sein Titel.
Ein Buch wartet auf seine Fortsetzung
Sein wohl wichtigstes Werk aber ist der Roman über die Emigrationsgeschichte seines Vaters. „Im Zweifel nach Deutschland“ heißt das Buch, das erstmals die Geschichte der Juden in der Fremdenlegion erzählt. Im Zweifel war sein Vater heimgekehrt, um seine Familie zu suchen, die er nicht mehr fand.
Ein autobiografisches Buch über das Leben seines Sohnes in dieser Heimat: Das wird nicht nur die logische Fortsetzung, das wird eine Lektüre, die das Erzähltalent und der sarkastische Humor Moritz Neumanns zu einer aufregenden Begegnung mit der Alltagsgeschichte der Bundesrepublik machen. Wenn es denn – hoffentlich – erscheint.
(Bildquelle: Echo-Online.de)